BLOGARTIKEL ANHÖREN:
Vor gar nicht allzu langer Zeit galt Perfektionismus noch als eine hochangesehene Charaktereigenschaft. “Charakter” heißt wörtlich übersetzt “Prägung”. Es ist also etwas Angelerntes aus unseren frühen prägsamen Jahren. Inzwischen haben viele Menschen die Erfahrung gemacht, dass der Zwang, nicht 100 sondern 150 Prozent leisten und sein zu müssen gestresst, unzufrieden und bei ausdauernder Anwendung körperlich krank macht. Es ist das Gefühl, seinen eigenen Ansprüchen ohne Unterlass hinterherzuhinken, das uns so viel von unserer Lebensqualität wegnimmt. (Ich spüre allein schon beim Schreiben dieses Satzes, wie es innerlich eng wird).
Wenn wir´s wieder auf den kleinsten Nenner bringen, dann ist Perfektionismus, wie viele andere scheinbar ungünstigen inneren Programme, eine Einladung mit uns selbst in lebendigem Kontakt zu sein und aufmerksam zu erspüren, was uns gut tut. Wollen wir uns also anschauen, wie Perfektionismus sogar zu einer Heilerfahrung werden kann.
Perfektionismus ist eine hervorragende Gelegenheit, um das ZULASSEN zu üben.
Deine momentanen Fähigkeiten und Fertigkeiten…
…ZULASSEN
Dass dein Werk fertig ist…
…ZULASSEN
Dass du lediglich eines nach dem anderen machen kannst…
…ZULASSEN
Du kannst das ZULASSEN gegenüber dir selbst, gegenüber deinem kreativen Produkt und gegenüber anderen und deren kreativen Produkten praktizieren. Das ist sehr entspannend.
Alles zu seiner Zeit – rundum gesundes Wachstum
Das, was du jetzt gerade kannst und wie du es kannst, ist genau richtig für deinen Entwicklungsstand. Eine Vielzahl der Probleme auf dieser Erde sind darin begründet, dass Wachstum unnatürlich beschleunigt wird. Eine Tomate zum Beispiel, die zu rasch großgezogen und zu früh geerntet wurde, kann zwar farblich auf dem Transport noch nachreifen – wird jedoch nie ihr volles Geschmacks- und Nährstoffpotential entfalten können.
Wenn du etwas Neues lernst, gibt es eine bestimmte Zeitspanne, in der sich das Neue in deinem Fähigkeiten- und Fertigkeitensystem integriert. Von aussen sieht das so aus, als wäre da eine Art Stillstand, doch innen ordnet sich das Neue in das bereits Vorhandene hinein – manches vom Alten wird verworfen, so dass das Neue Platz findet und anwurzeln kann. Diese Wurzeln ermöglichen es, dass es dir dauerhaft zur Verfügung steht und dienen kann. Es ist also ein überaus wichtiger Prozess, der gerade – ganz von alleine übrigens – im Unsichtbaren geschieht.
Es klingt vielleicht etwas paradox, aber:
Ein Werk ist fertig, wenn es fertig ist.
Kennst du den Ausdruck, etwas zu “verschlimmbessern”? Welcher Art auch immer dein Werk ist, es ist ein menschliches Produkt und das macht es in einer Welt aus tausenden und abertausenden maschinell hergestellten Dingen zu etwas ausgesprochen Besonderem! Unregelmäßigkeiten, Ungeschliffenheiten, ein krummer Nagel, ein etwas sperriger Satz, ein Wort, das so gar nicht existiert, eine Masche unterwegs verloren, zu viel Salz erwischt. Wo gehobelt wird, da fallen Späne. Hurra, wir sind am Leben! Wir sind aus Fleisch, Blut und Ideen und was wir tun ist hand- kopf- und herzgemacht. Das darf sichtbar sein! Seien wir stolz und dankbar, dass wir unverwechselbare Originale erschaffen können. Und lernen wir die Kunst, alle Fünfe grade sein zu lassen. Es ist fertig, geben wir es in die Welt!
Das Märchen vom Multitasking
Schon mal versucht, zwei ausgebüchste Karnikel gleichzeitig einzufangen? Es funktioniert nicht, stimmts? Schön für die Karnikel, die den Löwenzahn der Freiheit genießen können, während du in einem Zustand der gehetzten Erstarrtheit oder erstarrten Gehetztheit vom einen zum anderen schaust. So fühlt sich das doch an, nicht? Du starrst nur von einer Aufgabe zur anderen, vieles beginnst du bis du das nächste beginnst und das nächste und ….Ich habe mir in solchen Situationen schon überlegt, ob ich wohl jemanden anstellen soll, der wenigstens überall ein Baustellenschild und etwas Absperrband anbringt. Tatsächlich und ganz im Ernst – es zieht große Mengen an Energie, so vorzugehen und am Ende nur noch auf das Nächstdringliche zu reagieren. Und die Baustellenschilder, die gibts zwar nicht in echt, aber sie gibt es in deinem Kopf. Wollen wir einen Schilderwald im Kopf? Nein, natürlich nicht. Wollen wir frische Luft, Lust und Energie für unsere Aufgaben? Und wenn ja, wie machen wir das?
ZULASSEN,
dass nur EINS geht. Eine Aufgabe. Mir hilft es, alles, was ich für diese Aufgabe nicht brauche, ausser Sichtweite zu packen. Am besten hinter eine Schranktüre oder in eine Schublade. Am allerbesten so, dass ich aufstehen muß und etwas Mühe habe, dranzukommen. (Ich habe die Erfahrung gemacht, dass wenigstens meine Gedanken immer wieder zu den anderen Themen wandern, wenn ich nicht sogar dort anfange herumzuwurschteln – so lange es eben in meiner Sichtnähe ist).
Qualität und Quantität: Wann ist genug genug?
Es ist wunderbar, etwas mit großer Hingabe und Energie zu leben. Für jemanden, der mit Feuereifer an einem Projekt arbeitet ist es oft gar nicht so einfach, den Punkt wahrzunehmen, über den hinaus etwas zwanghaft – ich möchte fast sagen: süchtig – wird. Doch es gibt jemanden, der uns diesbezüglich präzise Auskunft erteilen kann:
Ich versuche (manchmal klappts und manchmal nicht) immer wieder hinzuhorchen: Halte ich den Atem an? Beiss ich die Zähne zusammen? Spanne ich meine “Ich-muss-es-unbedingt-schaffen”-Muskulatur in Nacken und Schultern an? Von meinem Körper erhalte ich Hinweise darüber, wann genug genug ist und was ich brauche.
Wir können es üben, mit uns selbst milde zu sein und alles, was wir tun nicht im Licht einer Zahnarztleuchte, sondern im Licht eines Christbaumes mit echten Kerzen oder einer spätsommerlichen goldenen Abenddämmerung zu baden.
Auch du bist ein menschliches Original, nicht durch Maschinen hergestellt. Und übrigens deine Mitmenschen auch nicht. Die meisten von uns haben erkannt, dass Perfektionismus überaus anstrengend ist. Die meisten von uns wollen den erbarmungslosen Druck lösen. Wer also wird so mutig sein, es zu wagen sich unperfekt zu zeigen? Wer wird damit beginnen? Und welch eine unfassbar befreiende Kettenreaktion könnte das auslösen?
Und daher lade ich dich und mich, liebes du, noch zu einem letzten ZULASSEN ein:
ZULASSEN,
sich verletzbar zu zeigen.
Bist du der Meinung, dass die Welt schön, natürlich, farbenreich, strahlend, liebevoll, herzlich & authentisch genug ist? Kannst du sehen, dass sie auf deinen unperfekten Beitrag wartet? Damit andere sich eingeladen fühlen, sich selbst ebenfalls zu zeigen. Unperfekt. Und echt.
Liebes du,
ich wünsche dir das strahlend-warme Licht
eines Christbaumes bei allem was du tust,
lass gern mal alle Fünfe grade sein, denn
ausreichend ist ausreichend,
Petra
In meinen Blogartikeln schreibe ich über meine persönlichen, selbstgemachten Erfahrungen. Nimm dir, was dich bewegt – den Rest vergiss getrost. Weder muss ich meine Erfahrungen an deine anpassen, noch du deine an meine. Alles ist in stetiger Veränderung und nichts ist hier in Stein gemeißelt. Ich bin frei und du auch.