BLOGARTIKEL ANHÖREN:
Dass viele Projekte unfertig in Schreibtisch-Schubladen, dunklen Atelier-Ecken oder Papierkörben verschwinden, ist oft eine Frage der Ausdauer. Es liegt selten daran, dass das Geld ausgeht, die Zeit oder der Einfallsreichtum.
Was entscheidet darüber, wie ausdauernd ich sein kann?
Vor einigen Jahren besuchte ich einen Kurs zu meinen Lieblingsthemen “Lebensbalance & Achtsamkeit”. Wir hatten bereits viel geatmet, einige Körper-Reisen gemacht, unser soziales Netz analysiert und an der berühmten Rosine gezutzelt (*) – als der Kursleiter eines schönen Tages mit einer Schachtel Eier reinkam. Die Aufgabe: Jeder möge sich ein Ei nehmen und es hochkant auf den Tisch stellen.
Irritiertes Raunen. Der Eierkarton ging reihum, jeder nahm sich eins und tapfer stellten sich die Helden des Alltags der gefühlten Unmöglichkeit. Eier kullerten munter kreuz und quer über die Tischfläche – es wurde verlegen gekichert, gemurmelt, beim Nachbarn geguckt. Nicht wenig Zeit verstrich, doch dann…tatsächlich! Ein erstes Ei stand hochkant! Jubel beim Sieger! Kurz drauf gelang es einem zweiten Teilnehmer. Die Atmosphäre veränderte sich, doch wir bemerkten es nicht – angestrengt fingen wir unsere Ausreißer ein und stellten sie vor uns auf. Immer und immer wieder.
Die ganze Zeit über glaubte ich, es ginge um Achtsamkeit. Um Konzentration. Um Focussiert bleiben. Gings aber nicht. Es ging um …..
……den inneren Dialog.
Es ging um das, was in uns sprach – während wir übten. Von “das geht doch gar nicht” über “wenn ich mich nur genug bemühe, dann…” bis hin zu “wieso klappts bei dem und bei mir nicht” und “war ja klar, dass ichs wieder nicht hinkrieg”. Das volle Programm.
Ich für meinen Teil war dankbar als die Sache abgebrochen wurde – ich hatte nämlich bereits begonnen, mich selbst in Grund und Boden zu denken. Genauer gesagt, war ich bereits mitten im Gemetzel. (Ein Wunder, dass das Ei heil blieb.) Bei einer freiwilligen Aufgabe im Rahmen eines freiwilligen Kurses, bei der es um nichts – aber auch gar nichts ging, als….
… aufmerksam zu werden, dass da etwas denkt.
Regel Nr. 1: Lass es da sein
Etwas Neues zu beginnen (Torte, Bild, Skulptur, Beziehung, Job – egal was) bringt uns in Kontakt mit unseren Qualitäten – aber auch mit all den Überzeugungen und Einreden, die in uns abgespeichert sind.
Die schlechte Nachricht ist: Wir können das eine nicht ohne das andere haben. Die gute Nachricht ist: Wir können lernen, damit umzugehen.
Ich glaubte eine Weile, dass ich “Positives Denken” praktizieren muss. Ich glaubte, dass die Dinge nicht gelingen, wenn ich nicht dran glauben kann. Darf ich dir eine Frage stellen? Kannst du an etwas glauben, woran du nicht glaubst?
Hm, ich auch nicht.
Meine Feststellung: Es zieht unfassbar viel Energie, wenn ich ständig versuche Gedanken von “negativ” auf “positiv” umzudenken. Es macht ein riesiges inneres Kuddelmuddel, das mehr Aufmerksamkeit braucht als ein alter Kühlschrank Strom. Ich glaube, dass dieser innere Kampf die Ursache dafür ist, dass Projekte abgebrochen (oder nicht begonnen) werden. Es ist nicht das Projekt, das uns erschöpft, sondern die Angst vor diesen unangenehmen Gedanken und Gefühlen. Ich zeig dir mal im Kurzdurchlauf, wie sowas in etwa bei mir aussieht:
Lass die Energie in dein Projekt fließen
In mir denkts also noch immer. Ich wünsche nicht, dass es anders sei. Ich formuliere nix um. Ein Gedanke löst den anderen ab und ich mach einfach weiter. Zwischenstände sind Zwischenstände. Manchmal läufts, manchmal stockts. Manchmal funktionierts und manchmal nicht. Ich tauche durch die Schichten des kreativen Prozesses wie ein Regenwurm. Vorne Material rein, hinten Dünger raus. Mehr ists nicht. Und mehr gibts auch nicht zu tun. Kein “Tschaka, ich kann alles schaffen”. Ich mache. Während es denkt. Fertig.
Hattest du dir was Spektakuläreres vorgestellt? Ja, ich weiss. Überall werden Arme in den Himmel gereckt und Affirmationen gesprochen. Wir sehen stets fertige Ergebnisse oder Videos in denen in 2 Minuten ein Bad gefliest, ein Rock genäht oder ein Portrait gemalt wird. Aber was ist danach? Was ist dann, wenn wir mit uns alleine sind. Was ist wenn wir im Bad sitzen und feststellen, dass unsere Materialberechnungen nicht stimmen, gerade unsere letzte Nähnadel abgebrochen ist oder deine ersten Pinselstriche nichts mit dem gemeinsam haben, was du im Kopf hast und du plötzlich die Stimme deiner ehemaligen Kunstlehrerin hörst, die dir schon damals wenig Talent zugesprochen hat?
Wirst du weitermachen? Wirst du üben und versuchen bis du weiterkommst? Wirst du weitergehen, ohne dass dich jemand anfeuert? Ohne die schönen Fotos von Siegerposen, Leichtigkeit und blumengeschmückten Zitate vergangener Menschen?
Wirst…..
………….du…..
……………………weitermachen?
Um deiner selbst willen? Um deines Weges willen? Für das, was du mit der Welt teilen willst? Gratuliere! Ein Projekt besteht aus vielen unterschiedlichen Phasen, nie bleibt es durchgehend schwierig. Es wird sich ein Weg finden. Drei Finger hoch!
Und für jeden Finger einen Tipp, wie du diesen Prozess sogar genießen kannst:
Ich wünsche dir alles Liebe,
bleib dran – es lohnt sich,
Petra
(*) Die Rosinen-Übung ist eine beliebte Achtsamkeits-Übung, bei der über einen längeren Zeitraum eine Rosine zunächst befühlt, beschnuppert, gelutscht, gekaut und dann erst hinuntergeschluckt wird.
In meinen Blogartikeln schreibe ich über meine persönlichen, selbstgemachten Erfahrungen. Nimm dir, was dich bewegt – den Rest vergiss getrost. Weder muss ich meine Erfahrungen an deine anpassen, noch du deine an meine. Alles ist in stetiger Veränderung und nichts ist hier in Stein gemeißelt. Ich bin frei und du auch.